Mittwoch, 1. Oktober 2008

Texte zu Sigurd Wendlands Arbeit

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Sigurd Wendland
von Niina Sitz,
Paris, Mai 2008

Am Anfang des Arbeitsprozesses von Sigurd Wendland stehen Bildideen, aus denen er seine komplexe, narrativ dichte Kunst entwickelt. In monumentalen Gruppenbildern von geradezu barocker Dynamik und Farbigkeit inszeniert er rätselhafte Szenarien: Im heftigen ineinander Verschränken und sogar Verbeißen der Protagonisten, die mal aggressiv, mal lustvoll nach einander greifen, gelingen ihm eindrucksvolle Darstellungen der Gewalt und Zärtlichkeit, des gnadenlosen Kampfes und der liebevollen Hingabe. Oft zeigen die Gesichter übersteigerten Ausdruck, theatralisch wie die Masken, die beispielsweise im „Karneval“ - Bild auftauchen. Trotz der körperlichen Nähe wirken die meist entblößten Akteure merkwürdig isoliert: Der Blickkontakt untereinander fehlt, ihre Augen sind entweder geschlossen oder auf den Bildbetrachter gerichtet. Wenn sie mit Arbeitsgeräten wie beispielsweise Motorsägen auf ihre Mitmenschen zugehen oder sich auf einem leeren Einkaufswagen bzw. vor geöffnetem Kühlschrank lieben, lässt sich erahnen, welcher Natur die hier angedeuteten zwischenmenschlichen Beziehungen sind. Wendland spielt gern mit Symbolen, stellt ungewöhnliche Zusammenhänge her. Provokant verknüpft er Technisches und Profanes mit Spirituellem, vor allem mit sehr frei interpretierten Elementen der christlichen Ikonographie aus dem Passionskontext. Daher lässt Wendlands Kunst, trotz seiner entschieden modernen Behandlung der Bildthemen – etwa durch den bewussten Verzicht darauf, die Bilder „altmeisterlich“ bis ins letzte Detail fertig zu malen - eine große Vertrautheit mit und Affinität zu Bildtraditionen weit zurück liegender künstlerischer Epochen erkennen.

So könnten beispielsweise die betenden Hände in Bild „Ich, ich, ich“ und der Hase samt Rasenstück im Bild “Energie, Sprichworte“ als Anspielungen auf das Schaffen von Albrecht Dürer angesehen werden. Und wenn er „Wasser als Ware“ malt, fließt es vom Himmel so segensreich auf die Menschen herunter, dass die - christliche- Interpretation als die Quelle des Lebens nahe zu liegen scheint. Eine Vorstellung, die ebenso an Christus erinnert wie die schwarz vermummte Muslima im Bildhintergrund, die mit ihren ausgestreckten Armen und Händen kreuzesgleich die ganze Bildbreite einnimmt.

All das sind aber nur Teilaspekte des Bildgeschehens. Der Künstler greift weiter aus: Es geht ihm auch um das Bloßstellen wirtschaftlicher Machtstrukturen und Vorgänge in der modernen Gesellschaft, die undurchsichtig aber brutal in das Leben jedes einzelnen hineinspielen. So thematisiert er beispielsweise das Problem der Privatisierung von Wasser und Strom. Im Gemälde „Wasser als Ware“ laben sich dürre und durstige Menschen. Ihre Gier nach dem Leben spendendem Element und das Glück, es zu spüren, finden ihre visuellen Entsprechungen in den beiden sich liebende Paaren am linken und rechten oberen Bildrand. Doch die sich hingebenden, mit ihren Armen liebevoll umfangenden Gestalten wirken alle mit ihren geschlossenen Augen und zurück gebogenen Köpfen allzu unvorsichtig und arglos, wie die potenziellen Opfer jener, die über das Lebensnotwendige gebieten. Bemerken sie nicht, wie bedrohlich der Wasserschlauch sie immer enger zusammenbindet und zusammenschnürt? Nur die zwei den Betrachter anblickende Frauen scheinen zu wissen oder zu erahnen, was hier tatsächlich vor sich geht: Die eine flehend aus einer seltsamen Tiefe zu uns aufschauende gänzlich Unbekleidete unten im Bild, die andere sich hinter Tschador verbergend. Unheimlich wirkt sie mit ihren ausgreifenden Armen, diffus den Gekreuzigten ähnlich, aber auch wie ein schwarzer, Unheil verkündender Riesenvogel. Was wird sich hier bald ereignen?

Noch weitaus prekärer erscheint die Lage der Akteure im Bild „Energie, Sprichworte“. Hier findet ein böses, lebensgefährliches Spiel zwischen Starkstromleitungen statt: Dem hilflosen, kleinkind-großen Hasen wird der Fell über die Ohren gezogen. Von wem? Der nackte, sein Gesicht hinter dem Hasenkadaver verbergende Mann ist womöglich nur der Vollstrecker der Aggression. Sie könnte von der Frau initiiert sein, die einen Schleiertanz vollführt und dabei die Gräueltat verdeckt. Will sie sich dadurch ihrer Verantwortung entziehen? Unten im Bild sind zwei junge Männer in einem noch unentschiedenen Kampf verwickelt, bei dem ein Kurzschluss durch das Zusammentreffen zweier Starkstromleitungen anscheinend entweder verhindert oder herbeigeführt werden soll. Auf dieser Bühne ist jeder unmittelbar durch eine falsche Bewegung, durch einen tödlichen Stromschlag bedroht. Sie scheinen es nicht zu wissen, nicht wissen zu wollen, warum sonst hielten sie ihre Augen so fest verschlossen?

Wendland zeigt die Welt als eine Bühne, auf der leichtsinnige, vom wilden Lebenshunger getriebene Schauspieler agieren. Sie stürzen und fallen, konsumieren sich gegenseitig und werden doch nicht satt, sie haben sich maskiert und sind doch schutzlos und nackt, bewaffnet und doch ausgeliefert: Ihrer Gier, ihrer Wut, ihrer Einsamkeit und ihrer verzweifelte Suche nach Nähe und Liebe. Er malt keine fertige Welt, lässt hier und da Skizzenhaftes stehen. Er scheint so den Betrachter dazu aufzufordern, sich aktiv an dem angefangenen Gedanken, dem dynamischen Prozess der Bildwerdung zu beteiligen. Und gleichzeitig uns daran zu erinnern, wie ungewiss, offen und prekär zwischenmenschliche Beziehungen heute sind.
Niina Sitz, Paris, Mai 2008





Amargheddon Painting - Malen im Kampfanzug
von Ralf Landmesser, Berlin Oktober2007

Sigurd Wendland malt die Vorahnung der Apokalypse. Seine Bilder mit verrenkten nackten Leibern, wild durcheinanderkopulierend sind Übersetzungen von Sodom und Gomorrha am Ende der Zeiten. Die Gemälde scheinen zu rufen wie einst Paul Zech: "Berlin halt ein, besinne dich - dein Tänzer ist der Tod!"

In der kleinen Galerie der Kastanienallee 67 springen die nackten Schenkel, Titten und Ärsche beim Eintreten ins Gesicht. Auf der Einladungspostkarte treibt ein aufgeblähter Ganzkörperdildo wie weggeworfen im Schilf, eine groteske fickbereite und zombiehafte Wasserleiche. Grinsende Fratzen nichtsagender Gesichter hantieren mit Kruzifixen an die Mickymausschädel und Fische genagelt sind flashbacks an den kreuzkatholischen Geburtsort des Malers, Münster und Bush. "Sexspielzeuge" werden zu Charaktermasken und Lebensuntüchtigkeitsprothesen, faschistoiden Traumata. Kettensägen in den Händen von Tanz- und Konsumwahnsinnigen sind im Begriff angeworfen zu werden und die extatischen Poser ringsum zu zerlegen, Sinnbild der Zerstückelung und Zerstörung des Lebens an sich. Tanzposen neben Kampfposen. Hans Martin Schleyer's Konterfei, auf braune Papiereinkaufstüten gedruckt, ist über Köpfe gestülpt wie die Todesbotschaft der Konsum- und Industriegesellschaft, die ihren Lemmingen die Hirne mit Discolight verdunkelt. Kurz vor dem Inferno wird an der spritgefluteten Tankstelle schnippisch-kokett das Streichholz angerissen - Ecstasy. Buddy-Bear mit Sprengstoffgürtel vor Köpfen an die die Zapfpistole gehalten wird, Triptychon mit Kühlschrankblues und Kopftuchkorreographie. Tanken, Töten, Television. Fackeln in den Händen enthemmter Gestalten, Haß und Wahn in den Augen, verkünden kommende Feuersbrünste, rasenden Mob. Marinus grinst äffisch debil beim Verschütten des Brandbeschleunigers aus dem Blechkanister vor brennendem Reichstag und neuem Pariser Platz. Geschichte herzitiert als Prophetie der Tragödie.

Daneben ein Stillleben auf dem in einer idyllischen Bachlandschaft ein blauer Designerplastikstuhl als Fremdkörper die Natur kontrastiert. Unvermittelt dazu ein Hühnerhaufen als Dorfparlament. Und als nächstes die Dorfglatzen in scheinbar friedlicher Feierabendstimmung unter den Versammlungslinde.

Die Galerie ist für die Hängung all dieser großformatigen Werke zu klein. Im Ausstellungskatalog liest eine Nackte ungerührt Noam Chomsky in einer Gruppe unter Palmen hingeflezter Nackter am (Dominikanischen?) Beach, während nebenan in Hintergrund eine Militärpatrouille ein schwarzes Urlauberpaar kontrolliert. Geil hält eine nicht mehr ganz frische Frau ihre Brüste mit beiden Händen in die Sonne, konsumgeil. Titel: "Urlaubsparadies". "friß das!": Barbusige Rollschuhstiefel-Bedienungen im Schnellrestaurant servieren mit Camouflage-Capy Camoulage-Fastfood, hinter ihnen an der Scheibe Wortfetzen aus der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte - auf Englisch. - Aufzuhängen im Weißen Haus.

Vieles sieht mensch erst auf den zweiten dritten Blick. Diese Bilder stören, verstören, zerstören. In jedem Pinselstrich liegt liebevolle Wut. Der Blick auf die Gesichter und Grimassen der Menschen von heute ist peinlich genau. Hinter jeder gnadenlos festgehaltenen Bewegung bleckt der nackte Kadaver, manchmal schon mit der Maske des Todes im Gesicht. Diese "Stadtstücke" sind im Grunde genommen ein moderner Holbeinscher Totentanz, bei denen die Offensichtlichkeit des Gevatter Hein nicht vorkommt, aber überall durchscheint.
In einer Allegorie mit dem Titel "Karneval" des Geburtsjahrs des Malers und der Republik 1949 wirbeln die Zeichen, Zeiten, Fahnen und Figuren durcheinander. Das schreiende Kind hochgehalten wie eine Trophäe und die schwarze Maske im togaartigen Büßerkleid, mit der schützend an die Brust gehaltenen schwarzen (Friedens?)Taube, unschwer als der Maler zu identifizieren; die BRD als obzöner Jahrmarkt der bleiernen Zeit.

Sigurd Wendland malt bewußt plakativ, oft mit unfertigen Skizzen auf roher Leinwand, die Striche souverän und meisterlich gesetzt. Expressionistische Farbverläufe und genaues Licht-Schatten-Spiel zeichnen die Bilder aus. Wer so malt, vor dem hat der menschliche Körper keine Geheimnisse. So ist denn sein Bild einer schwangeren Nackten im Gartenstuhl, nachdenklich und friedlich, doch schon mit den Schatten des Todes um die sorgenvollen Augen, die orange Kettensäge auf den Oberschenkel aufstützend wie einen Korb Früchte, ein Gleichnis einer Menschheit am Abgrund, die nicht nur den Ast absägt auf dem sie sitzt.

Seit 1982 mit Unterbrechungen in Berlin, malt und fotografiert Wendland sozialkritisch seine Lebenswelten und steht mit ihnen in Konflikt. Als Bildbiograph seiner Zeit ist er schon jetzt ein Klassiker. Fraglich ob es in naher Zukunft noch jemand gibt, der seine aufrüttelnden Bilder anschauen kann.

libertarian press berlin